Oberlandesgericht Hamm Urteil vom 12.09.2014 (26 U 56/13)
Schmerzensgeld vom Zahnarzt: Wenn der Zahnarzt bei der Eingliederung einer Brücke einen Behandlungsfehler begeht, hat er gegenüber dem Patienten grundsätzlich ein Nachbesserungsrecht (vgl. OLG Köln, Beschluss v. 27.08.2012, 5 U 52/12). Die Eingliederung einer Brücke unterliegt zwar grundsätzlich dem Dienstvertragsrecht, das ein solches Nachbesserungsrecht nicht kennt. Bei kassenärztlichen Leistungen folgen Nachbesserungspflicht und Nachbesserungsrecht aber aus § 137 Abs. 4 SGB V, bei Privatzahnarztverträgen aus dem Recht des Zahnarztes zur Schadensminderung gemäß § 254 Abs. 2 BGB.
Im vorliegenden Fall hatte der Zahnarzt bei der Eingliederung einer Brücke im Oberkiefer zwar bemerkt (oder bemerken müssen), dass die Brücke am Kronenrand eine Stufe zu den natürlichen Zähnen aufwies, so dass die Kronenränder abstanden. Er hatte den Patienten aber nicht darauf hingewiesen. Das OLG Hamm sprach dem Patienten trotz der Möglichkeit des Zahnarztes zur Nachbesserung ein Schmerzensgeld zu, weil der die notwendige Aufklärung nicht betrieben hatte. Der Zahnarzt hätte selbst den Behandlungsfehler erkennen und den Patienten von sich aus zu einer Nachbehandlung einbestellen müssen. Da der Patient allerdings lange Zeit nichts unternahm, bevor er einen Zahnarzt aufsuchte, hat das OLG das Schmerzensgeld nur mit 1.000,00 € bemessen. Die erlittenen Beschwerden konnten bei einer so langen Zeit, in der der Patient keinen Zahnarzt aufsuchte, so schlimm nicht sein.
Oberlandesgericht Hamm Urteil vom 02.09.2014 26 U 30/13:
Wenn nicht der Chefarzt, sondern der Oberarzt operiert: Auch wenn der Patient einen Chefarztvertrag unterschrieben hat, darf ihn ein Vertreter des Chefarztes, z.B. der Oberarzt, operieren. Das gilt zumindest dann, wenn im Vertrag der Oberarzt als Vertreter des Chefarztes ausgewiesen ist. Will ein Patient nur durch den Chefarzt und nicht durch seinen Vertreter operiert werden, muss er dies durch eine Erklärung z.B. im Rahmen eines Wahlleistungsvertrages oder im Rahmen seiner Einwilligung zur Operation hinreichend deutlich machen. Fehlt eine solche Patientenerklärung und benennt der Vertrag zudem einen ärztlichen Vertreter, willigt der Patient auch in eine vom Vertreter ausgeführte Operation ein.
"Ein für alle Male abgefunden" kann Erbverzicht sein. In einem am 06.10.2014 veröffentlichten Beschluss hat sich das OLG Hamm mit der Auslegung eines notariellen Erbauseinandersetzungsvertrages beschäftigt. Die Ehefrau hatte sich nach dem Tod des Ehemannes im Jahre 1991 zum Notar begeben und dort mit Sohn und Tochter u.a. die Vereinbarung getroffen, dass die Tochter gegen Zahlung eines Betrages von 100.000,00 DM “vom elterlichen Vermögen unter Lebenden und von Todes wegen ein für alle Male abgefunden“ sei. Als die Mutter im Jahre 2013 starb, wollte die Tochter als Miterbin im Erbschein eingetragen werden. Das OLG Hamm sieht jedoch den Sohn als alleinigen Erben an. Es hat eine Auslegung des Testaments vorgenommen, wobei es zwei naheliegende Schlüsse gezogen hat. Zum einen liegt ein Erbverzicht auch dann vor, wenn das Wort nicht ausdrücklich im Vertrag erscheint, der Wille der Vertragsschließenden aber diesen Erbverzicht deutlich macht. Wer sich darauf festlegt, dass er ein für alle Male abgefunden ist, verzichtet auf sein Erbe. Auch die Frage, ob der Erbverzicht nur für das Erbe nach dem verstorbenen Vater oder auch für das Erbe nach der später verstorbenen Mutter galt, gestaltete sich als nicht schwierig. Die Tochter hatte den Erbverzicht bezüglich des „elterlichen“ Vermögens erklärt. Von den verstorbenen Eltern konnte sie kein Erbteil mehr erwarten.
Einwendungsdurchgriff und „0 %-Finanzierung“: Die Entscheidung des BGH mahnt den Verbraucher bei der sog. „0%-Finanzierung“ zur Vorsicht. Wer sich teure Ware kauft und sich den Kauf durch eine vom Verkäufer vermittelte Bank kostenlos (zu 0 %) finanzieren lässt, hat im Ergebnis nicht die gleichen Rechte wie derjenige, der für die Finanzierung ein Entgelt (Zinsen oder Gebühren) an die Bank bezahlt. Im vorliegenden Fall hatte der Käufer im Baumarkt zwei Türen zum Preis von 6.389,15 € einschließlich Montage gekauft und gleichzeitig auf einem dort bereitliegenden Formular der Bank einen Antrag auf Abschluss eines Darlehensvertrages unterschrieben. Das schien ein vorteilhafter Deal zu sein, denn der Käufer hatte für das Darlehn keine Zinsen, keine Kosten und keine Gebühren zu zahlen. Nach der Montage der Türen stellte sich allerdings heraus, dass der Einbau der Türen mangelhaft war und dass die Mangelbeseitigung Kosten von 5.415,50 € verursachte. Es verblieb danach noch eine Wertminderung von 550 €. Der Käufer trat vom Kaufvertrag zurück und vertrat die Ansicht, auch das Darlehn nicht zurückzahlen zu müssen. Ein Irrtum, wie der BGH in seinem Urteil ausführt.
Zwar kann der Verbraucher die Einwendungen aus dem Kaufvertrag grundsätzlich auch dem Darlehnsgeber entgegenhalten. Dieser sog. Einwendungsdurchgriff stützt sich auf §§ 358, 359 BGB. Nach § 359 Abs. 1 BGB kann der Käufer die Rückzahlung des Darlehens mit den gleichen Einwendungen verweigern, die ihm gegenüber dem Unternehmer zustehen. Voraussetzung ist aber, dass es sich um das in §§ 358 und 359 BGB erwähnte Verbraucherdarlehn handelt. Von einem Verbraucherdarlehn spricht man aber nur, wenn für das vereinbarte Darlehn en Entgelt gezahlt werden muss. Da das Verbraucherdarlehn überall im Gesetz im gleichen Sinn verstanden wird, ist an die Legaldefinition in § 491 BGB anzuknüpfen. Danach ist ein Verbraucherdarlehnsvertrag ein entgeltlicher Darlehensvertrag zwischen einem Unternehmer als Darlehensgeber und einem Verbraucher als Darlehensnehmer. Da der Käufer keinen Cent an Zinsen und Kosten auf den Darlehnsvertrag zu zahlen hatte, hatte er keinen Verbraucherdarlehnsvertrag geschlossen. Da er keinen Verbraucherdarlehnsvertrag geschlossen hatte, kann er gegenüber der Bank nicht einwenden, die mit Darlehnsmitteln finanzierte Tür sei mangelhaft. Der Käufer muss das Darlehn zurückzahlen. Er kann nur Ansprüche gegen den Verkäufer geltend machen. Merke: Ein kostenloser Darlehnsvertrag kann teuer werden.
Oberlandesgerichts Hamm Beschluss vom 29.08.2014 (9 U 26/14):
Unfälle auf Parkplätzen unterliegen eigenen Gesetzen. Parkplätze dienen dem ruhenden Verkehr. Deshalb gilt nicht (unbedingt) rechts vor links, sondern das Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme im Sinne von § 1 StVO. Die Fahrgassen sind keine Vorfahrtstraßen, und die Markierungspfeile sind nicht verbindlich, sondern stellen nur eine Fahrtrichtungsempfehlung dar. Geboten sind Schrittgeschwindigkeit und ständige Bremsbereitschaft.
Das OLG Hamm macht allerdings eine bedeutende Ausnahme. Die Regeln gelten nur im Bereich des ruhenden Verkehrs. Wenn aber der ruhende Verkehr auf den fließenden Verkehr trifft, ist der ruhende Verkehr wartepflichtig. Fährt der Parkplatzbenutzer aus der Parkbox in den fließenden Verkehr ein, muss er dem fließenden Verkehr nach den Regeln des § 10 StVO das Vorrecht geben. Das gilt auch auf öffentlich zugänglichen Parkplätzen, wenn die zwischen den Parkplätzen angelegten Fahrspuren eindeutig Straßencharakter haben und sich bereits aus ihrer baulichen Anlage ergibt, dass sie nicht dem Suchen von Parkplätzen, sondern der Zu- und Abfahrt dienen. Hierzu gehören die Zufahrtsstraßen auf Autobahnparkplätzen, die dem fließenden Verkehr dienen, weshalb der Ein- und Ausparkende gegenüber dem Verkehr auf der Zufahrtsstraße wartepflichtig ist.
In dem vom OLG Hamm entschiedenen Fall hatte sich der Lastzug der Beklagtenseite aus der Parkbucht herausbewegt und hatte die Vorfahrt des auf der Zufahrtstraße fahrenden Kollegen nicht beachtet.
Die Überlegungen des OLG Hamm sind so neu nicht. Bereits das KG Berlin hatte in seinem Beschluss vom 12.10.2009 (Aktenzeichen: 12 U 233/08) darauf hingewiesen, dass die Parkplatzregeln bei Fahrspuren mit Straßencharakter nicht gelten.
Oberlandesgericht Hamm Beschluss vom 22.07.2014 (15 W 98/14):
In Testamentsangelegenheiten ist es oft besser, wenn ein Anwalt zu Rate gezogen wird. Das beweist der vom OLG Hamm entschiedene Fall. Ein Erblasser hatte ein Einzeltestament handschriftlich geschrieben und unterschrieben. Danach sollte nach seinem Ableben die Erbschaft „gemäß dem Berliner Testament erfolgen einschließlich Wiederverheiratungsklausel“. Der letzte Wille des Erblassers war nach Meinung der Richter so wenig eindeutig, dass es der Witwe den beantragten Erbschein verweigert hatte. Das Einzeltestament des Erblassers enthalte weder ausdrücklich – so die Richter - eine Berufung der Ehefrau als Alleinerbin noch könne diese dem Testament im Wege der Auslegung entnommen werden. Bei der Auslegung sei der wirkliche Wille des Erblassers zu erforschen. Im vorliegenden Fall lasse sich nicht feststellen, was der Erblasser mit dem Wortlaut seines Testaments habe sagen wollen. Dem Testament sei nicht zu entnehmen, was er unter einem "Berliner Testament" verstanden habe, da er offensichtlich nicht gewusst habe, dass ein solches Testament nicht als Einzeltestament, sondern nur als gemeinschaftliches Testament beider Ehegatten errichtet werden könne. Welche Vorstellungen er dann inhaltlich mit einem "Berliner Testament" verbunden habe, ergebe sich nicht aus dem Testament. In diesem habe er nicht beschrieben, wer ihn beerben solle. Es lasse auch nicht erkennen, ob ein Alleinerbe, Vorerbe, Miterbe, Schlusserbe oder Nacherbe bestimmt werden und was im Falle der Wiederverheiratung geschehen solle.
Das Berliner Testament ist eine wechselseitige Verfügung (§ 2269 BGB), die nach dem Tode des anderen Ehegatten nicht mehr nach § 2271 Abs. 2 BGB widerrufen werden kann. Der überlebende Ehegatte ist über den Tod des Partners hinaus an das Testament gebunden. Wiederverheiratungsklauseln tragen dem Umstand Rechnung, dass der überlebende Ehegatte im Falle der Wiederverheiratung nicht mehr das ungeschmälerte Erbe behalten soll. Er bleibt nur (aufschiebend bedingt) bis zur Wiederheirat der Erbe des Erstverstorbenen, muss aber im Falle der Heirat entweder den Nachlass des Erst verstorbenen herausgeben oder in eine Erbengemeinschaft mit den für den Fall der Wiederverheiratung bestimmten Erben eintreten.
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Das ist der Tenor der Entscheidung des OLG Dresden, das in einer recht alltäglichen Verkehrsunfallsache über die Haftungsquote zwischen zwei Unfallbeteiligten zu entscheiden hatte. Ein grundsätzlich wartepflichtiger Verkehrsteilnehmer hatte auf das Blinklicht des Vorfahrtberechtigten vertraut und war auf die Vorfahrtstraße eingebogen. Beim Einbiegen in die vorfahrtberechtigte Straße kam es zum Zusammenstoß mit dem blinkenden Fahrzeug. Der Senat erkannte auf eine Quote von 70 % zu 30 % zugunsten des vorfahrtsberechtigten Fahrers. Vertrauen entsteht erst dann, wenn der Vorfahrtsberechtigte nicht nur blinkt, sondern durch sein weiteres Verhalten zu erkennen gibt, dass er die Vorfahrtsstraße verlassen will. Neben der Betätigung des Blinkers muss eine zusätzliche Vertrauensgrundlage geschaffen werden, sei es durch eine eindeutige Herabsetzung der Geschwindigkeit oder aber durch die Einleitung des Abbiegemanövers. Der Wartepflichtige muss also, nachdem er den Blinker wahrgenommen hat, noch so lange warten, bis er ein sicheres Zeichen erkennt, dass der Vorfahrtberechtigte die mit dem Blinker angezeigte Fahrtrichtung auch tatsächlich verfolgen wird.
Wie kommen Energieversorgungsverträge zustande? Das geschieht meistens, indem der Versorger sich vom Vertragspartner einen ausführlichen Energieversorgungsantrag unterschreiben lässt. Daneben gibt es aber auch Fälle, in denen der Mieter in die Mietwohnung einzieht und gar nicht daran denkt, einen Liefervertrag mit dem (Grund-)Versorger abzuschließen. Man sollte meinen, dass der Versorger in solchen Fällen gegen den Mieter keinen Anspruch auf Bezahlung der Stromlieferung hat. Der BGH kommt zu dem Ergebnis, dass der Mieter zahlungspflichtig ist, weil er dennoch Vertragspartner des Versorgers geworden ist. In dem Leistungsangebot des Versorgungsunternehmens ist nämlich grundsätzlich ein Vertragsangebot zum Abschluss eines Versorgungsvertrags in Form einer sogenannten Realofferte zu sehen. Die Realofferte ist uns schon aus dem Bereich des öffentlichen Personenverkehrs bekannt. Wenn der Busfahrer dem einsteigenden Fahrgast die Tür öffnet, bietet ihm das Verkehrsunternehmen den Abschluss eines Beförderungsvertrages an. Auch das Versorgungsunternehmen stellt sein Leitungsnetz im Wege der Realofferte für die Entnahme von Elektrizität, Gas, Wasser oder Fernwärme zur Verfügung.
Von der Realofferte muss sich derjenige angesprochen fühlen, der die tatsächliche Verfügungsgewalt über den Versorgungsanschluss am Übergabepunkt ausübt. Im Falle einer Vermietung oder Verpachtung steht diese tatsächliche Verfügungsgewalt entsprechend der aus dem Miet- oder Pachtvertrag folgenden rechtlichen Befugnis dem Mieter oder Pächter zu. Das Unternehmen kennt den Mieter oder Pächter zwar nicht. Hierauf kommt es aber auch nicht an. Denn der Versorger will erkennbar mit demjenigen den Liefervertrag abschließen, der die tatsächliche Verfügungsgewalt über die gemieteten oder gepachteten Räume mit dem Versorgungsanschluss innehat. Mit der Energieentnahme nimmt der Verfügungsbefugte die Realofferte an. Er muss die Energiekosten bezahlen.
Hat der Versorger allerdings schon einen Liefervertrag mit einem Dritten, etwa dem Eigentümer, geschlossen, dann gelten diese Grundsätze nicht mehr.